MATER TIROLENSIS ORA PRO NOBIS
Adina Guarnieri, Die Neue Südtiroler Tageszeitung, 5.11.2017.
In
seinem 1976 erschienen Buch „Das egoistische Gen” vertritt der britische
Evolutionsbiologe
Richard
Dawkins die Theorie, dass nicht nur anatomische Merkmale wie die Haarfarbe oder
bestimmte
Krankheiten über Generationen weitergegeben werden, sondern auch kulturelle
Gepflogenheiten
zu einem angeborenen Teil unseres DNA gehören. Zu diesen sogenannten
„Memen“
zählen, laut Dawkin, vor allem die Religion oder die politische Einstellung der
jeweiligen
Person.
Anscheinend erfahren wir dadurch schon vor unserer Geburt eine Art kulturelles
Imprinting,
das
unsere spätere Identität maßgeblich beeinflusst. In unserem spezifischen Fall
würde das salopp
bedeuten: Einmal Tiroler, immer Tiroler.
bedeuten: Einmal Tiroler, immer Tiroler.
Nun
ist das mit dem Tirolertum so ein Sache; wir alle kennen es, Viele verteidigen
es mit Haut und
Haaren,
manch Einer hält es für ein anachronistisches Prinzip während man an so manchen
Biertischen
immer noch das Jahr 1809 zu schreiben scheint. Das fast schon mythische „Volk
in
Not“,
Schloss Sigmundskron als der Olymp der Tiroler Identität, all das scheint
meilenweit weg
wenn
man sich im Dezember über den Weihnachtsmarkt quetscht oder zu Mariä
Himmelfahrt –
Ferragosto
wird dieser Tag mittlerweile auch von den Tirolern genannt – in St. Ulrich oder
auf der
Seiser
Alm nach Erholung sucht. Zwischen Kuckucksuhren „Made in China“ und Trachten
mit
Swarovski-Steinen
begibt man sich zuweilen erfolglos auf die Suche nach dem wohlig rauchigen
Duft
der Bauernstuben, wie sie Viele nur noch von den Gemälden eines Franz von
Defregger her
kennen.
„Mater
Tirolensis“ ist eine provokative Ausstellung, in der uns der in Canazei
geborene Künstler
Claus
Soraperra die unterschiedlichen Facetten des Tirolertums ersichtlich machen
will. Der
Künstler
selbst führt seine Überlegungen auf die eigene Biographie zurück: Seine
Kindheit in einer
dreisprachigen
Region habe ihn dazu verleitet, sich mit den Gemeinsamkeiten und den
Unterschieden
zwischen den Sprachgruppen vertraut machen zu wollen und die daraus
resultierende
kulturelle Bereicherung in Bilder zu fassen. Dabei liefert Soraperra dem Betrachter keine einheitliche
Antwort auf die Frage nach dem wahren Tirolertum, eher will er die Vielschichtigkeit der historischen
Region Tirol und deren aktuelle Bedeutung – und Vermarktung – im europäischen Sinne aufzeigen.
kulturelle Bereicherung in Bilder zu fassen. Dabei liefert Soraperra dem Betrachter keine einheitliche
Antwort auf die Frage nach dem wahren Tirolertum, eher will er die Vielschichtigkeit der historischen
Region Tirol und deren aktuelle Bedeutung – und Vermarktung – im europäischen Sinne aufzeigen.
Das
Schlagwort „Ein Tirol“ hält schon lange nicht mehr; schon Claus Gatterer
erkannte einst, dass
es
vor der Teilung Tirols nach dem Ersten Weltkrieg nie ein echtes „Südtirol“
gegeben habe, nein,
als
südlicher Teil Tirols galt damals wennschon das heutige Trentino. Identitäten
und die damit
einhergehenden
geopolitischen Definitionen sind also keine gottgegebenen Entitäten, es sind
wechselnde
Projektionsflächen, deren Bedeutung sich im ständigen Wandel befindet und die
man
manchmal
auch nicht so ernst nehmen sollte. Genau dies macht Claus Soraperra in seinen
Arbeiten:
Er
behandelt ein heikles Thema mit dem nötigen Humor ohne es dabei ins Lächerliche
zu ziehen.
Man
merkt, dass es ihm trotz aller Ironie dennoch ernst ist mit seinem Anliegen und
dass er in
keinster
Weise die Kultur seiner Mitmenschen minimieren oder relativieren will. Es geht
ihm allein
um
das Aufzeigen und um das Bewusstmachen eines realen Umstandes: Irgendwann sieht
man
die wahre Heimat vor lauter Tirol nicht mehr.
die wahre Heimat vor lauter Tirol nicht mehr.
Das Kunstforum
Unterland zeigt sich gewagt mit einem herausfordernden Werkzyklus des
Fassa-ladinischen Künstlers Claus Soraperra.
In
seinem 1976 erschienen Buch „Das egoistische Gen” vertritt der britische
Evolutionsbiologe
Richard
Dawkins die Theorie, dass nicht nur anatomische Merkmale wie die Haarfarbe oder
bestimmte
Krankheiten über Generationen weitergegeben werden, sondern auch kulturelle
Gepflogenheiten
zu einem angeborenen Teil unseres DNA gehören. Zu diesen sogenannten
„Memen“
zählen, laut Dawkin, vor allem die Religion oder die politische Einstellung der
jeweiligen
Person.
Anscheinend erfahren wir dadurch schon vor unserer Geburt eine Art kulturelles
Imprinting, das unsere spätere Identität maßgeblich beeinflusst. In unserem
spezifischen Fall würde das salopp bedeuten: Einmal Tiroler, immer Tiroler.
Nun
ist das mit dem Tirolertum so ein Sache; wir alle kennen es, Viele verteidigen
es mit Haut und
Haaren,
manch Einer hält es für ein anachronistisches Prinzip während man an so manchen
Biertischen
immer noch das Jahr 1809 zu schreiben scheint. Das fast schon mythische „Volk
in
Not“,
Schloss Sigmundskron als der Olymp der Tiroler Identität, all das scheint
meilenweit weg
wenn
man sich im Dezember über den Weihnachtsmarkt quetscht oder zu Mariä Himmelfahrt
–
Ferragosto
wird dieser Tag mittlerweile auch von den Tirolern genannt – in St. Ulrich oder
auf der
Seiser
Alm nach Erholung sucht. Zwischen Kuckucksuhren „Made in China“ und Trachten
mit
Swarovski-Steinen
begibt man sich zuweilen erfolglos auf die Suche nach dem wohlig rauchigen
Duft
der Bauernstuben, wie sie Viele nur noch von den Gemälden eines Franz von
Defregger her
kennen.
„Mater
Tirolensis“ ist eine provokative Ausstellung, in der uns der in Canazei
geborene Künstler
Claus
Soraperra die unterschiedlichen Facetten des Tirolertums ersichtlich machen
will. Der
Künstler
selbst führt seine Überlegungen auf die eigene Biographie zurück: Seine
Kindheit in einer
dreisprachigen
Region habe ihn dazu verleitet, sich mit den Gemeinsamkeiten und den
Unterschieden
zwischen den Sprachgruppen vertraut machen zu wollen und die daraus
resultierende kulturelle Bereicherung in Bilder zu fassen. Dabei liefert
Soraperra dem Betrachter keine einheitliche Antwort auf die Frage nach dem
wahren Tirolertum, eher will er die Vielschichtigkeit der historischen Region
Tirol und deren aktuelle Bedeutung – und Vermarktung – im europäischen Sinne
aufzeigen.
Das
Schlagwort „Ein Tirol“ hält schon lange nicht mehr; schon Claus Gatterer
erkannte einst, dass
es
vor der Teilung Tirols nach dem Ersten Weltkrieg nie ein echtes „Südtirol“
gegeben habe, nein,
als
südlicher Teil Tirols galt damals wennschon das heutige Trentino. Identitäten
und die damit
einhergehenden
geopolitischen Definitionen sind also keine gottgegebenen Entitäten, es sind
wechselnde
Projektionsflächen, deren Bedeutung sich im ständigen Wandel befindet und die
man
manchmal
auch nicht so ernst nehmen sollte. Genau dies macht Claus Soraperra in seinen
Arbeiten:
Er
behandelt ein heikles Thema mit dem nötigen Humor ohne es dabei ins Lächerliche
zu ziehen.
Man
merkt, dass es ihm trotz aller Ironie dennoch ernst ist mit seinem Anliegen und
dass er in
keinster
Weise die Kultur seiner Mitmenschen minimieren oder relativieren will. Es geht
ihm allein
um das
Aufzeigen und um das Bewusstmachen eines realen Umstandes: Irgendwann sieht man
die wahre Heimat vor lauter Tirol nicht mehr.